Dipl.-Ing. J. Wittig, ÖbVI

Die Zeitung "Die Welt" hat sich am 15.07.2015 mit den Problemen der dualen Ausbildung auseinandergesetzt:

"Sinkende Schülerzahlen und der Trend zum Studium setzen das duale System unter Druck. Berufsschulen müssen schließen, die Wege für Azubis werden länger. Die Wirtschaft ist alarmiert. Eigentlich gilt das duale System der deutschen Berufsausbildung als international vorbildlich. Die Kombination von Praxis im Betrieb und Theorie in der Berufsschule wird weltweit als Erfolgsmodell gegen Jugendarbeitslosigkeit und zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses gepriesen. Doch jetzt gerät es in zweierlei Hinsicht in die Zange. Der ungebremste Trend zum Studium und der Bevölkerungsrückgang lassen die Lehrlingszahlen sinken. Die Folge: Berufsschulen schließen die Pforten. Für die Ausbildungsbetriebe und ihre Schützlinge stellt das eine große Belastung dar."

Die Vermessungsbranche beobachtet diese Entwicklung schon seit mehreren Jahren und kämpft über die o. G. Argumenten mit zusätzlichen Problemen:

  • Die staatlichen Ausbildungsstellen haben sich aus der Vermessungstechnikerausbildung stark zurückgezogen. In der Hessischen Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation (HVBG) werden nur noch Geomatiker ausgebildet. Für die Vermessungstechnikerausbildung sind die sonstigen Ausbildungsstellen zuständig.
  • Die Zahl der Auszubildenden im Bereich der Vermessungstechniker ist auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten gefallen (In Hessen haben am 23.07.2015 lediglich 5 Vermessungstechniker ein Zeugnis erhalten.)
  • Altersabgänge und offene Stellen fordern zum dringenden Handeln auf.Die Schließung von Berufsschulstandorten mindert die Attraktivität der Vermessungstechnikerausbildung zusätzlich.
  • Die Vermittlung der gesamten und ständig steigenden Stoffpalette stellt insbesondere die vielen kleinen Ausbildungsbetriebe in der Regel vor ständig neue Aufgaben und lässt sie nicht selten kapitulieren.
  • Die Bundesregierung trägt zur Unattraktivität des Vermessungstechnikerberufs bei, indem sie die Vermessungshonorare in der HOAI für unverbindlich erklärt und damit einem ruinösen Preiswettbewerb Vorschub leistet, während sie anderen Fachdisziplinen eine 17%-ige Honorarsteigerung ihrer verbindlichen Honorare verordnet. Die daraus folgende Kenntnis niedrigerer Verdienstmöglichkeiten, hinterlässt bei der Berufswahl Spuren.

Die Ingenieurkammer Hessen und der BDVI Hessen haben verabredet, die Ausbildung von Vermessungstechnikerinnen und Vermessungstechnikern künftig zu modernisieren. Statistische Zahlen zeigen, dass in den künftigen Jahren mehr Mitarbeiter aus den Vermessungsbüros ausscheiden werden, als junge Kräfte nachwachsen. Wenn im Bereich der Ausbildung nicht rechtzeitig umgedacht wird, werden Fachkräfte im Vermessungsbereich künftig zur Mangelware.

Nicht nur Berufsschullehrer bestätigen, dass die Ausbildung zur Vermessungstechnikerin oder zum Vermessungstechniker auf hohem Niveau stattfindet. Um als Ausbildungsbetrieb den modernen Anforderungen in allen Fachdisziplinen gerecht werden zu können, bedarf es großer Anstrengungen des Ausbildungspersonals. Auch hier geht in den kommenden Jahren viel Fachwissen und praktische Erfahrung durch Pensionierungen verloren.

Gute Ausbildung kostet viel Zeit, ist jedoch absolut alternativlos. Daher bedarf es neuer Wege, gute Ausbildung zu wirtschaftlichen Bedingungen anbieten zu können.

Der Vizepräsident der Ingenieurkammer Hessen und Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur Dipl.-Ing. Jürgen Wittig aus Bad Homburg hat daher die Idee ins Spiel eingebracht, den Ausbildungsstoff - soweit sinnvoll und möglich - über eine E-Learning Plattform zu vermitteln. Hierbei geht es ausschließlich um die theoretische Wissensvermittlung. Eine praktische Ausbildung, wie der Umgang mit Messgeräten oder das Analysieren und Bewerten der Katasternachweise vor Ort, das Benutzen von CAD-Programmen für Berechnungen und Pläne aller Art etc. kann durch E-Learning- nicht ersetzt werden.

Was ist E-Learning?

E-Learning ist ein Lernkonzept zur multimedialen Weiterbildung auf Basis von webbasierten Inhalten. Dabei wird das Selbststudium der Inhalte zur Vor- und Nachbearbeitung von Fachinformationen auf Basis neuester Informations- und Kommunikationsmedien bereitgestellt. Diese können in reiner Textform sowie auf Basis von Bildern, Videos oder Animationen dargestellt werden.

Das individuelle Lernen ist zeit- und ortsunabhängig, wodurch Ausfallzeiten im Büro sowie Reisekosten entfallen. Das Lernpensum sowie das Lerntempo sind frei wählbar. Dadurch wird eine zügige Wissensaufnahme durch multimedial aufbereitete Informationen gewährleistet. Durch vernetzte Informationen kann auf alle vorgehaltenen Informationen einfach und schnell zugegriffen werden.

Des Weiteren besteht die Möglichkeit der individuellen Lernerfolgskontrolle durch zugeordnete Administratoren, Trainer und Ansprechpartner der jeweiligen Online-Module. Am Ende jedes Lernpfades sind Kontrollfragen in Form von Lückentexten, Single- oder Multiple-Choice-Abfragen sowie der freien Eingabe möglich.

Die Teilnehmer können sich innerhalb des Netzwerkes untereinander austauschen, Fragen stellen und beantworten sowie Diskussionsbeiträge bearbeiten.

Der Zugriff erfolgt über jeden gängigen Internet-Browser und ist systemunabhängig. Die Nutzung ist sogar über die meisten Smartphones und Tablets möglich.

Die Ingenieurkammer Hessen und die angegliederte Ingenieur-Akademie Hessen GmbH, sind Eigentümer einer E-Learning Plattform, die seit mehreren Jahren für die Fort- und Weiterbildung von Ingenieuren erfolgreich eingesetzt wird. Daher sollte sie sich auch gut für die Vermessungstechnikerausbildung eignen.

Mit der Bereitstellung der Lehrinhalte auf der E-Learning Plattform soll ermöglicht werden, dass

  • allen Auszubildenden der gleiche Lernstoff angeboten wird, unabhängig davon in welchem Betrieb die Ausbildung stattfindet,
  • das Fachwissen der derzeit noch aktiven Ausbilder vor deren Pensionierung in die E-Learning Plattform einfließt und für die Zukunft zur Verfügung steht,
  • die Dienstreisen der Auszubildenden bei Ausbildungskooperationen reduziert werden können,
  • die Betreuungszeiten der Auszubildenden in den Ausbildungsbetrieben deutlich geringer ausfallen werden,
  • das Lernen nicht an die Verfügbarkeit des Ausbilders gebunden ist,
  • die jungen Leute Freude an der Ausbildung haben, da bei dieser Generation eine hohe Affinität zur digitalen Welt gegeben ist,
  • die Ausbildung besser auf den Stoff der Berufsschulen abgestimmt werden kann.

Wie werden Lerninhalte aufbereitet?

Der BDVI-Hessen hat in seiner Mitgliederversammlung am 13.03.2015 in Rotenburg einen einstimmigen Beschluss gefasst, das Projekt umzusetzen. Die für die Ausbildung im BDVI zuständigen Kollegen Dipl.- Ing. F. Hofmann und Dipl.-Ing. Hagen Wehrmann haben daraufhin alle Hessischen ÖbVI-Kollegen aufgefordert, jeweils einen von 51 Lernbeiträgen für die Aufnahme in die E-Learning Plattform zu liefern. Die Hälfte des Stoffs liegt bereits ausgearbeitet vor und muss nun von Fachleuten in die Plattform aufgenommen werden. Es ist das Ziel, für die in den Startlöchern stehenden Auszubildenden des Jahres 2015 die Plattform zum Herbst 2015 aktiv zu schalten.

Eine wesentliche Hürde stellt jedoch die Finanzierung des Projekts dar. Neben einer großen Anschubfinanzierung, um die Plattform mit den Inhalten füllen zu können und die nur über eine Sonderumlage oder durch Sponsoren aufgebracht werden kann, bedarf es auch der Festlegung einer Nutzungsgebühr, die die laufenden Kosten decken muss. Der BDVI-Bund hat einen Zuschuss von 3 x 5000,- € in den kommenden 3 Jahren zugesagt. Die Akteure des Projekts sind zurzeit damit beschäftigt, das Geld aufzutreiben.

Wenn sich das Hessische Modell bewähren sollte, ist beabsichtigt, diese E-Learning Plattform auch für weitere interessierte Bundesländer zu öffnen.

Da die hessischen Berufsschulstandorte auf einen Standort in Wetzlar reduziert wurden, führt diese Entwicklung zu mehr Reisetätigkeit für die Auszubildenden. Inwieweit der Präsenzunterricht mit Hilfe einer E-Learning Plattform reduziert werden könnte, ist durch das Kultusministerium zu entscheiden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat sich hierzu in den o. g. Artikel in der Welt schon positioniert. Und der DIHK sieht noch eine weitere Möglichkeit: In ländlichen Regionen könnten Teile des Fachunterrichts mithilfe digitaler Medien auch dezentral und über das Internet angeboten werden. Die Ingenieurkammer Hessen und der BDVI-Hessen stehen einer gemeinsamen Nutzung der Plattform durch Berufsschule und Ausbildungsbetriebe offen gegenüber. Bleibt zu hoffen, dass die zuständige Berufsschule und das Kultusministerium dieser Technik aufgeschlossen gegenüber stehen.

Die Vermessungsbranche steht vor einer schwierigen Aufgabe, die mit gutem Willen, überschaubaren Kosten und ehrenamtlichem Engagement lösbar ist.

Dipl.-Ing. Jürgen Wittig, ÖbVI

Vizepräsident der Ingenieurkammer Hessen